ESG nach Corona - Thesen zu den mittelfristigen Auswirkungen
These 2: Tiefe Risse
Corona verstärkt die soziale Ungleichheit, sowohl in den Ländern selbst als auch zwischen ihnen.
Unfair verteilt: Kein gleicher Zugang zu gesundheitlicher Versorgung
Corona hat die Gesundheitssysteme in vielen Ländern in gravierendem Maße überfordert. Selbst in westlichen Industrieländern fehlt vielen Menschen der ausreichende Zugang zu rudimentärem Schutz wie Masken und Desinfektionsmitteln. Gerade in den USA haben sozial schwache Schichten nur sehr eingeschränkten Zugang zur notwendigen gesundheitlichen Versorgung – viele Bürger sind mangels Krankenversicherung besonders verletzbar. Auch die Corona-Sterberate ist ungleich verteilt. So ist in New York die Sterberate in Stadtteilen mit einkommensschwachen Schichten wie zum Beispiel der Bronx oder Brooklyn um ein Vielfaches höher als im wohlhabenden Manhattan oder Greenwich Village (Quelle: New York City Health Department, https://www1.nyc.gov/site/doh/covid/covid-19-data.page).
Vor allem in Billiglohnsektoren sind die Ansteckungsrisiken hoch, weil Menschen dort oft räumlich eng zusammenarbeiten und Sicherheitsstandards oft nicht eingehalten werden können (zum Beispiel Fabrikarbeiter, Schlachthöfe, Minen).
In Entwicklungsländern verfügen die Gesundheitssysteme teils gar nicht über die notwendige Infrastruktur (zum Beispiel Beatmungsbetten). Hier gilt erst recht: Nur wer zahlen kann, wird ärztlich versorgt.
Die Corona-Rezession trifft sozial Schwache am härtesten
Die globale Rezession durch Corona wird harte soziale Folgen haben. Laut einer Studie der Vereinten Nationen droht eine halbe Milliarde Menschen unter die Armutsgrenze von 5,50 US-Dollar pro Tag gedrückt zu werden, sollten die Haushaltseinkommen um 20 Prozent fallen. Selbst ein Rückgang von 10 Prozent würde noch 250 Millionen Menschen in die Armut rutschen lassen (Quelle: UNU, Sumner et al., 2020).

Die Arbeitslosenzahlen schnellen in nie gekannter Geschwindigkeit in die Höhe. Allein in den USA wurden in nur zwei Monaten 41 Millionen Menschen arbeitslos (Quelle: Macrobond, 2020). Weltweit werden über 200 Millionen neue Arbeitslose erwartet (Quelle: ILO 2020 in: Furceri, 2020, https://voxeu.org/article/covid-19-will-raise-inequality-if-past-pandemics-are-guide).

Das Homeoffice ist für viele Menschen in einkommensschwachen Berufsgruppen (zum Beispiel Gastronomie, Fabrikarbeiter, Einzelhandel) keine Alternative.
Corona verstärkt den Generationenkonflikt
Corona wird vor allem zum Schutz der älteren Risikogruppen und auf Kosten der jüngeren Generation bekämpft. Die zunehmende Überschuldung der Staaten wird für nachfolgende Generationen bei gleichzeitigem demografischen Wandel und stagnierenden Reallöhnen zur Belastungsprobe.
So werden für die USA und den Euroraum für 2020 Schuldenquoten erwartet, die um mindestens 10 bis 15 Prozentpunkte über jenen von Ende 2019 liegen. In Italien könnte die Schuldenquote bis Ende 2020 auf etwa 165 Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP) wachsen. Durch diese enorme Verschuldung fehlen vielen Ländern längerfristig Geld in den Kassen, etwa für Bildungsausgaben und das Gesundheitssystem.
Die Unzufriedenheit der Jüngeren in puncto Generationengerechtigkeit nimmt zu und mündet in politischen Forderungen. Fridays for Future war nur der Anfang.
Abgestimmt wird zum Schluss
Corona hat vielen Menschen einerseits die Erfahrung von neuer gesellschaftlicher Solidarität ermöglicht. Andererseits wird die Krise aber auch viele Unzufriedene hinterlassen. Neue gesellschaftliche Risse entstehen.
Millionen Menschen haben wegen der staatlichen Corona-Restriktionen ihre Arbeit verloren, wurden nicht operiert oder monatelang sozial isoliert. Auch die Corona-Helden (Krankenhaus- und Pflegepersonal, Notdienste, Supermarktkassierer) sind nicht vergessen und fordern jetzt höhere finanzielle Anerkennung ein. Die finanziellen Spielräume sind krisenbedingt sehr begrenzt und das Enttäuschungspotenzial ist damit sehr groß.

Die Unzufriedenheit der Corona-Verlierer wird sich politisch entladen. Corona erhöht also das politische Risiko vor allem in den Ländern, deren Regierungen ein mangelhaftes Krisenmanagement bescheinigt wird. Die Ungewissheit über Wahlausgänge ist höher als vor der Pandemie.
- Autor:
Florian Sommer, Leiter ESG Strategie im Portfoliomanagement bei Union Investment