ESG nach Corona - Thesen zu den mittelfristigen Auswirkungen
These 3: Neue Alleingänge
Die Corona-Krise vergrößert den staatlichen Einfluss und verstärkt nationales Handeln.
Neue Erfahrungen mit einem starken Staat
Die Pandemiebekämpfung erfordert eine starken und funktionierenden Staat. Vorher undenkbare restriktive Maßnahmen wie Ausgangssperren, soziale Isolation und Grenzschließungen werden plötzlich staatlich verordnet und gesellschaftlich weitgehend toleriert. Die Corona-Krise beschert insbesondere demokratischen Gesellschaften eine völlig neue Erfahrung: ein starker Staat, der radikal durchgreift.
Parteien, die Sicherheit, Stabilität und Kompetenz vermitteln, gewinnen während der Krise an Zustimmung. Es ist die Stunde der Amtsinhaber, die Opposition spielt zunächst nur eine Nebenrolle. Auch in der Gesellschaft sind Tugenden wie Disziplin, Solidarität und Folgsamkeit für die erfolgreiche Bekämpfung von Corona essenziell.
Nationales Denken beschleunigt Handelskonflikte
America First, Brexit und der Erfolg von rechten populistischen Parteien in Europa: Der Trend zu nationalem Handeln ist nicht neu. In der Krise ist sich jeder Staat selbst der nächste: Für die Regierungen stehen die nationalen Interessen im Vordergrund. Grenzen werden geschlossen und andere Staaten nur dann solidarisch unterstützt, wenn man es sich leisten kann. Die Regierungen der Nationalstaaten sind die handelnden Akteure, internationale Institutionen spielen oft die zweite Geige. Gleichzeitig scheint die Krise auch Staaten zusammen zu schweißen. Auf der europäischen Ebene wird dies am gemeinsamen Wiederaufbaufonds deutlich, global zeigt sich das am Bekenntnis einer Vielzahl von Ländern zur WHO.
Die Corona-Krise liefert Regierungen, die wirtschaftsnationalistische Kurse verfolgen, Argumente: Trump sucht einen Schuldigen und beschleunigt damit den Handelskonflikt zwischen den USA und China. Autokratische Staaten gehen gestärkt aus der Krisen hervor, gerade in Asien.
Der Staat wird größer und einflussreicher
Die Corona-Krise fordert die staatlichen Institutionen wie selten zuvor. Schuldenquoten schnellen in die Höhe, Notenbankenbilanzen werden aufgebläht, Konjunkturpakete in dreistelliger Milliardenhöhe beschlossen. Der Staat wird durch die Krisenbekämpfung größer und einflussreicher. In einigen Sektoren greift der Staat direkt ein. Auch Verstaatlichung ist ein Mittel der Krisenbekämpfung.


Darüber hinaus setzen Staaten auch neue Technologien ein. In über 30 Ländern werden die Bewegungen von Menschen mit Corona-Apps „überwacht“. Gerade in den asiatischen Staaten leistet das konsequente Monitoring von Menschen einen wichtigen Beitrag zur Eindämmung des Virus. Auch in den westlichen Demokratien nimmt die Akzeptanz für derartige Maßnahmen zu. Rote Linien werden hinterfragt und neue Technologien kommen zum Einsatz.

Aber: Durch die steigende Verschuldung wird die Frage der Generationengerechtigkeit gestellt. Die Generationengerechtigkeit steht auf dem Spiel. Die Gefahr, dass Populisten die Gestaltungsohnmacht des Staates ausnutzen, wächst – und wenn Populisten an der Macht sind, gerät Nachhaltigkeit ins Hintertreffen. Umso wichtiger ist es, die Bewältigung der ökonomischen Probleme mit der Lösung der Klimakrise zu verbinden. Nur so bewältigen wir sie und erhalten die Möglichkeit, auch künftig Lösungen zu entwickeln.
Globale Probleme erfordert globale Zusammenarbeit
Corona wurde in den ersten Stunden vor allem mit nationalem Denken und Handeln bekämpft. Die Bewältigung der Krise erfordert aber auch eine intensive internationale Zusammenarbeit. Internationale Kooperation und Institutionen wie die Europäische Union und die Vereinten Nationen müssen von den nationalen Akteuren gestärkt und genutzt werden. Nur dann können globale Probleme wie Corona, Klimawandel oder die schwindende Artenvielfalt bewältigt werden.
- Autor:
Florian Sommer, Leiter ESG Strategie im Portfoliomanagement bei Union Investment