ESG nach Corona - Thesen zu den mittelfristigen Auswirkungen
These 5: Harte Landung
Corona ist für Airlines so gravierend wie die Finanzkrise für Banken. Nur das Klima ist besser.
Nichts geht mehr
Wie die Banken in der Finanzkrise 2008/2009 ringen die Luftfahrtunternehmen ums Überleben und rufen nach staatlicher Unterstützung. Nichts ist mehr so, wie es war. Der internationale Luftverkehr kam im ersten Halbjahr 2020 wegen der Coronavirus-Pandemie fast zum Erliegen. Der größte Verkehrseinbruch seit Beginn der kommerziellen Luftfahrt wird vielfältige langfristige Effekte und strukturelle Änderungen in der Branche zur Folge haben:
Die aktuelle Krise verbindet einen angebotsseitigen Schock mit einer Nachfragekrise im Jahr 2021. Tiefgreifende Veränderungen im Urlaubsverhalten und bei Geschäftsreisen sind wahrscheinlich. Das Wachstum der Branche wird daher mittelfristig unter dem historischen Durchschnitt liegen. Das Niveau von 2019 kann frühestens 2023 erreicht werden.

Ein Gewinner ist kurz- und mittelfristig das Klima
Globale Passagier-Kilometer werden 2021 voraussichtlich 32 bis 41 Prozent unter dem erwarteten Niveau liegen. Weniger Verkehr bedeutet auch weniger Emissionen. Auch die Flotten der im Markt verbleibenden Airlines werden nach der Krise nicht wieder ihre Ausgangsgrößen erreichen. Insbesondere ältere und klimaschädlichere Maschinen werden nicht mehr in Betrieb genommen werden. Das führt zu einer besseren Klimabilanz der Flotten.

Gleichzeitig fehlen die Gelder für Innovationen wie etwa alternative Treibstoffe und Antriebstechnologien, die für die grüne Transformation der Branche längerfristig gebraucht werden.
Staatshilfe wird auch an Investitionen in Klimaschutz und emissionsreduzierende Bedingungen geknüpft. So verbindet die französische Regierung ihr milliardenschweres Hilfsprogramm für Air France mit der Auflage, dass die Airline Inlandsstrecken, die in zweieinhalb Stunden mit dem Zug zu schaffen sind, nicht mehr anbieten darf. Zudem soll das Unternehmen bis 2025 zwei Prozent seines Treibstoffbedarfs aus erneuerbaren Quellen decken.
Kurzstrecke und Urlaubsflüge erholen sich schneller als Geschäftsreisen und Langstrecke
Grundsätzlich ist das Vertrauen der Verbraucher in den Flugverkehr nach wie vor von entscheidender Bedeutung und es könnte einige Zeit dauern, bis es wiederhergestellt ist – auch nach der Öffnung der Grenzen und der Lockerung der Reisebeschränkungen.
Erholen wird sich zunächst der Freizeit-Verkehr auf der Kurzstrecke. Langfristig stärker beeinträchtigt bleiben
- internationale Langstreckenverbindungen aufgrund der komplexen Einreisebestimmungen und der Umsetzung neuer Gesundheits- und Sicherheitsmaßnahmen.
- Geschäftsreisen. Auf dem Segment lasten die starken wirtschaftlichen Auswirkungen der Krise, die Fürsorgepflicht der Unternehmen für Mitarbeiter, die zunehmende Heimarbeit und die digitale Vernetzung im Geschäftsleben.
Weitere Konsolidierung sehr wahrscheinlich
Um ihre Liquidität während der globalen Lockdown-Phase zu sichern, verschulden sich einzelne Gesellschaften stark. Kleinere und bilanziell schwächere Fluglinien werden spätestens mit Wiederaufnahme des Flugverkehrs um ihre Existenz kämpfen müssen. Es ist äußerst wahrscheinlich, dass die Branche insgesamt schrumpfen wird. Nach überstandener Krise und zumindest teilweise erfolgter Marktbereinigung bieten sich Chancen für Unternehmen mit starken Bilanzen.
Low-Cost-Carrier zeigen sich in dieser Krise widerstandsfähiger als Netzbetreiber. Sie haben geringere Fixkosten, benötigen keine Staatshilfe und nutzen die Zeit des Lockdowns für weitere Kostenoptimierungen. Sie sind stärker national oder regional ausgerichtet und der Großteil ihres Verkehrs ist auf die Freizeit ausgerichtet. In Phasen schrumpfender Wirtschaftsleistung waren diese Carrier historisch betrachtet angesichts der niedrigen Kostenbasis eher in der Lage, den Verkehr zu stimulieren.
Grundsätzlich wird COVID-19 Flugreisen verändern: Wie 9/11 wird COVID-19 einen bleibenden Einfluss auf Regelungen und Prozeduren rund ums Reisen haben, um die Ausbreitung des Virus zu begrenzen und weitere Wellen zu vermeiden. Zur Diskussion stehen zum Beispiel das Tragen von Mund-Nasen-Schutz, eine verstärkte Gesundheitsuntersuchung vor und nach einem Flug (Temperaturkontrolle), Gesundheitspässe, veränderte Essensausgabe, intensivierte Flugzeugreinigung.
- Autorin:
Anne-Katrin Leonard, ESG Analystin im Portfoliomanagement bei Union Investment