Schon seit einigen Jahren befindet sich die größte Demokratie der Welt auf Modernisierungskurs. Doch mit dem wachsenden Wohlstand nehmen auch die Umweltbelastungen zu.
Die Luft- und die Wasserverschmutzung auf dem wirtschaftlich aufstrebenden Subkontinent sind immens. Zwar hat Indien zahlreiche Reformen unternommen, seit Narendra Modi im Mai 2014 Premierminister wurde, aber in vielen Bereichen fehlen noch die Instrumente, um die Herausforderungen zu bewältigen. „Insbesondere im Vergleich zu China hinkt Indien beim Thema Umweltschutz um zehn bis 15 Jahre hinterher“, betont Florian Sommer, Head of Sustainability Research bei Union Investment, der sich im November 2017 vor Ort ein Bild von der Situation verschaffte. Der Nachholbedarf beim Umweltschutz ist auch durch den allgemein niedrigeren Entwicklungsstandard des Landes bedingt. Premier Modis Ankündigung, dass im Jahr 2030 in Indien nur noch Autos mit Elektroantrieb verkauft werden sollen, gilt als unrealistisch. Der Plan ist ambitioniert, zumal die dafür benötigte Infrastruktur fehlt. Ihm stehen aber auch politische Probleme und die in Indien grassierende Korruption sowie die überbordende Bürokratie entgegen, die immer wieder Reformvorhaben bremst.
Millionen Tote durch Umweltverschmutzung
In keinem Land der Welt sterben mehr Menschen an den Folgen der Umweltverschmutzung als in Indien. Schuld daran sind vor allem die Abgase des Straßenverkehrs, die stark auf Kohle setzende Energiegewinnung und eine oft ungeregelte Entsorgung von Abfällen in Indiens Flüsse. Diesen Winter war die Feinstaubbelastung in vielen indischen Metropolen so hoch, dass etwa die Hauptstadt Delhi von einigen Fluglinien für mehrere Tage nicht mehr angeflogen werden durfte. Studien taxieren die Zahl der auf Umweltbelastungen beruhenden Todesfälle in Indien auf 2,5 Millionen im vergangenen Jahr, fast 30 Prozent mehr als in China.
Todesfälle aufgrund von Umweltverschmutzung
In Indien und China ist die Mortalität besonders hoch
#Indiens Ziele nach Paris-Abkommen
30 – 35 % Reduzierung der Energieintensität bis 2030 (gemessen an den Werten von 2005)
175 Gigawatt Produktion von erneuerbarer Energie bis 2022
40 % der Energie sollen bis 2030 aus nicht fossilen Energieträgern produziert werden
Solarstrom auf dem Vormarsch
Trotz des immensen Ausmaßes der Probleme konnte Florian Sommer in Indien auch positive Tendenzen wahrnehmen: „Der Solarstrom in Indien ist auf dem Vormarsch, mittlerweile ist Strom aus Sonnenenergie günstiger als aus Kohle“, erklärt der Nachhaltigkeitsexperte. Indien sei der am schnellsten wachsende Solarmarkt der Welt – auch wenn sich weitere Schwierigkeiten auftun. „Das Energiespeicherproblem ist auch dort noch nicht gelöst.“ Insbesondere für die Versorgung der Landbevölkerung scheint Solarstrom ganz besonders geeignet. „Sehr viele Menschen leben in Gegenden, die nicht an die öffentlichen Versorgungsnetze angeschlossen sind. Dafür sind Solaranlagen ideal, die Menschen können die Energie direkt im Dorf gewinnen“, sagt Sommer. Zwar seien auch die Solarenergie und der Aufbau von Solaranlagen für weite Teile der Bevölkerung noch zu teuer, aber die Kosten sinken im Vergleich zum Kohlestrom weiter. „Diese Entwicklung ist sowohl für den Lebensstandard als auch für die Umwelt gut, weil der Anschluss an die stark von Kohleverstromung abhängigen Netze entfällt“, unterstreicht Sommer.
Solarstrom im globalen Vergleich
Indien ist der am schnellsten wachsende Solarmarkt der Welt

Mehr Transparenz als in China
Auch bei Nachhaltigkeitsthemen abseits der Umweltproblematik tut sich einiges auf dem Subkontinent. Zwar sind die indischen Konzerne mit Blick auf Corporate-Governance-Standards vom US-amerikanischen oder dem europäischen Niveau noch weit entfernt, aber in Sachen Transparenz zu Nachhaltigkeitsthemen sind indische Unternehmen wesentlich weiter als etwa die chinesischen Firmen. „Man merkt, dass der indische Markt schon lange für globale Investoren geöffnet ist und dass die Unternehmen auf den Druck von Investoren reagieren“, sagt Sommer. Die meisten großen Unternehmen veröffentlichen einen Nachhaltigkeitsbericht und sind hinsichtlich der ESG-Themen offen und sprachfähig. In China dominiert hingegen eine Compliance-Kultur. Was vom chinesischen Gesetzgeber bei Nachhaltigkeit nicht gefordert wird, wird von Unternehmen auch nicht offengelegt. Auch der Wandel hin zu erneuerbaren Energien werde von den indischen Unternehmen ernst genommen. „Immerhin jeder dritte Konzern hat sich in diesem Zusammenhang klare Ziele gesetzt. Das ist ein guter Anfang“, findet Sommer.
Konzerne fordern bessere Arbeitsstandards
Positiv hat sich auch die Situation hinsichtlich der Arbeitsstandards in Indien verbessert. Dies erfuhr Florian Sommer aus Gesprächen vor Ort. Im Fokus steht nach wie vor besonders die Textilindustrie, denn viele globale Marken wie etwa Primark, Ikea, GAP und H&M lassen in Indien fertigen. Der Druck, den nachhaltige Investoren auf diese großen Adressen ausüben, scheint nicht ohne Folgen zu bleiben. So habe die Internationale Labour Organization (ILO) der Vereinten Nationen klar betont, dass die wesentlichen Verbesserungen bei den Arbeitsbedingungen nicht vom Gesetzgeber oder der Regulatorik initiiert werden, sondern durch die Anforderungen von globalen Konzernen an ihre Lieferketten, berichtet Sommer. „Das bestärkt uns natürlich in unseren Engagement-Aktivitäten, die auf die Transparenz und die Kontrolle der Lieferketten abzielen“, sagt Sommer.
#Großer Markt für Windkraft
Indien ist weltweit der viertgrößte Markt für Windkraftanlagen. Bis zum Jahr 2022 sollen 27 Gigawatt an weiteren Anlagen installiert werden. Die indische Windindustrie kann den Bedarf bedienen und hat sogar Überkapazitäten aufgebaut. Hersteller und Zulieferer investieren landesweit in neue Werke und Windtechnik.
Quelle: Germany Trade & Invest.


Im Gespräch mit Ilham Mohamed, Regionalkoordinatorin Südasien bei Transparency International, London
Union Investment fragt nach
Warum ist die Korruption so weit verbreitet in Indien?
Es gibt viele Facetten, die Indien zum Nährboden von Korruption machen. Zu nennen wäre da der hohe Grad der Bürokratisierung bei Genehmigungen und Lizenzierungen. Daneben sind die staatlichen Antikorruptionsmechanismen auf allen Ebenen sehr unkoordiniert. Dies macht die Aufdeckung und Verfolgung von Korruption uneffektiv. In der breiten Öffentlichkeit erschweren auch die zum Teil niedrige Bildung und ein mangelnder Zugang zu Informationen und Beschwerdestellen die Bekämpfung von Korruption.
Hat die Korruption seit Amtsantritt von Premier Modi abgenommen?
Die Ergebnisse des Korruptionswahrnehmungsindex (CPI) für Indien haben sich statistisch nicht erheblich verbessert in den vergangenen drei Jahren. 2017 erreichte Indien 40 von 100 CPI-Punkten und lag im Ranking von 180 Ländern auf Platz 80. Das ist ein schlechteres Ergebnis als beispielsweise Südafrika oder China. Abgesehen von einigen wenigen hochkarätigen Korruptionsfällen, über die in der vergangenen Dekade berichtet wurde, ist wenig über strafrechtliche Verfolgung von Korruptionsfällen bekannt. Da besteht Nachholbedarf.
Wird Indien das Thema Korruption in Zukunft in den Griff bekommen oder nicht?
Indien verfügt über eine starke und professionelle Gerichtsbarkeit, hoch qualifizierte Beamte, eine energische Zivilgesellschaft und Medien, die öffentlich Druck machen. Dies ist eine gute Grundlage, um ein Antikorruptionsprogramm zu starten. Dennoch hat sich in drei Jahren regulatorisch wenig getan, etwa im Gesetzverfahren zur „Jan Lokpal“ genannten Beschwerdestelle, um Korruptionsfälle zu untersuchen. Die Polizeibehörde CBI besitzt nicht die Unabhängigkeit, die eine starke Antikorruptionsbehörde benötigt. Diese und ein starkes Lokpal braucht Indien, um die Lücke zwischen Aufdeckung und Verfolgung von Korruption effizient zu schließen.
#Transparency International
Transparency International e. V. (TI) ist eine international tätige Nichtregierungsorganisation. Hauptziel ist der Kampf gegen und die Prävention von Straftaten, die mit Korruption im Zusammenhang stehen. Seit 1995 erstellt TI alljährlich den Corruption Perceptions Index (CPI).
Große Nachfrage nach grünen Technologien
Anders als bei meinem Aufenthalt in China vor gut eineinhalb Jahren bin ich aus Indien nicht mit einer Fülle von lokalen Investmentideen zurückgekommen. Die Entstehung einer großen eigenen grünen Industrie wie im Reich der Mitte ist in Indien aktuell noch nicht zu beobachten. In Indien wächst zweifelsohne eine große Nachfrage an grünen Technologien heran. Diese wird aber vor allem aus dem Ausland bedient. So kommen die Solarzellen vorwiegend aus chinesischer Produktion. Und auch deutsche Unternehmen kommen bei grünen Technologien auf dem Subkontinent zum Zuge. Grüne Technologien „made in India“ muss man hingegen suchen, aber es gibt Unternehmen. So etwa der Windkrafthersteller Suzlon in Pune, Bundesstaat Maharashtra. Mehrere indische Autobauer setzen auch auf Elektroautos. Das sind positive Entwicklungen, aber man muss abwarten, ob sich diese dann auch im globalen Wettbewerb durchsetzen können.

Florian Sommer
Head of Sustainability Research bei Union Investment
Weiterführende Links
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