In der Klimapolitik stehen die USA mit Präsident Biden vor einer Kehrtwende

Alles auf null?

In der Klimapolitik stehen die USA mit Präsident Biden vor einer Kehrtwende

  • Präsident Biden verfolgt ambitionierte Klima-Agenda
  • Hohe Investitionen in Transformation der amerikanischen Volkswirtschaft
  • Positiver Effekt auf Markt für ESG-Investments
  • Mögliche Profiteure unter US-Unternehmen – aber auch Verlierer

Politischer Paradigmenwechsel in den USA

Was haben Kelly Loeffler und David Perdue mit dem Klimawandel zu tun? Auf den ersten Blick nicht viel: Während ihrer Amtszeit als republikanische Senatoren in Georgia gehörte das Thema Klima- und Umweltschutz nicht zu ihren primären politischen Interessen, Perdue gilt sogar als Unterstützer der Kohleindustrie und als Klimawandelleugner.1 Im Wahlkampf präsentierten sich beide als loyale Anhänger von Donald Trump, der den Klimaschutz in seiner Amtszeit ignoriert, ja sogar sabotiert hat.

Aber nun könnten Loeffler und Perdue der Klimapolitik der USA eine neue Richtung geben, ganz ohne ihr Zutun – denn durch ihre Niederlagen in der Stichwahl in Georgia verändern sich die Mehrheitsverhältnisse im US-Senat. Die Demokraten verfügen nun über knappe Mehrheiten in beiden Kammern (Senat und Repräsentantenhaus) des US-Kongresses, die wichtige Funktionen beim Staatshaushalt, der Gesetzgebung und Kontrolle der Regierung ausüben.

Damit könnte eine Kehrtwende im Kampf gegen den Klimawandel bevorstehen. Denn Joe Biden, der die globale Erwärmung im Wahlkampf als „die größte Herausforderung für die USA und die Welt“ bezeichnet hat, wird seine politischen Vorhaben als 46. Präsident der Vereinigten Staaten mindestens für die nächsten zwei Jahre mit der Rückendeckung eines demokratisch kontrollierten Kongresses angehen können.2

Schon das kürzlich verabschiedete Stimulus-Paket, über das Demokraten und Republikaner über mehrere Monate debattierten, enthält Förderungen für grüne Technologien wie Solar- und Windenergie. Ausweislich seines Wahlprogramms will Joe Biden aber nicht nur an einzelnen Stellschrauben drehen. Er will die amerikanische Klimapolitik tatsächlich vom Kopf auf die Füße stellen.

US-Regierung wird vom Bremser zum Antreiber der Klimaschutzpolitik

Größer könnte der Kontrast kaum sein: Donald Trump hatte den menschengemachten Klimawandel wiederholt in Frage gestellt und als „chinesische Erfindung“ bezeichnet, die eine Schwächung der amerikanischen Wirtschaft zum Ziel habe. In seiner Amtszeit sorgte Trump für einen Austritt der USA aus dem Pariser Klimaschutzabkommen und entschärfte bzw. schaffte bundesstaatliche Regulierungen zum Klima- und Umweltschutz ab. Der „Climate Deregulation Tracker“ des Sabin Center for Climate Change Law der Columbia Law School listet für die vergangenen vier Jahre der Amtszeit Trumps 172 solcher Maßnahmen auf.3

Dazu gehören beispielsweise die Erlaubnis für Öl- und Gasbohrungen sowie Rodungs- und Straßenbauarbeiten in Naturschutzgebieten oder Lockerungen von Emissionsvorschriften für konventionelle Kraftwerke. Während der Amtszeit Trumps wurde der amerikanische Klimaschutz vor allem von Städten, Landkreisen und Bundesstaaten wie Kalifornien getragen, die sich im Jahr 2017 zu Klimabündnissen zusammentaten.4 Die neue Regierung unter Biden wird Klimaschutzinitiativen nicht mehr bremsen, sondern selbst Akzente setzen und wieder eine Führungsrolle übernehmen.

Ambitionierte Klimapläne

Welche klimapolitischen Maßnahmen sind konkret von Präsident Biden zu erwarten? Im Wahlkampf hat der ehemalige Senator von Delaware ambitionierte Pläne vorgestellt: Die USA sollen dem „Biden-Plan“ zufolge bis zum Jahr 2050 Klimaneutralität erreichen, die Stromerzeugung des Landes soll bereits bis zum Jahr 2035 komplett CO2-frei sein. Um diese Ziele zu erreichen, wird eine aufwändige Transformation der US-amerikanischen Volkswirtschaft notwendig sein. Für diesen Umbau will Biden 2000 Milliarden US-Dollar aufwenden: Ziel ist, eine klare Veränderung der amerikanischen Wirtschaft und Gesellschaft voranzutreiben. Durch die demokratischen Mehrheiten in beiden Kammern des US-Kongresses hat Biden politische Rückendeckung und könnte weite Teile seiner Pläne in die Tat umsetzen.

Dies gilt jedoch nur, wenn es Biden gelingt, die Demokratische Partei zusammenzuhalten und auf das gemeinsame Ziel einzuschwören. Tatsächlich ist die Partei divers und nicht jede Strömung innerhalb der Demokraten sieht den Klimaschutz als oberste politische Priorität an. Das gilt umso mehr, da die Mehrheitsverhältnisse im Senat sehr knapp sind und Biden auch jene demokratischen Senatoren aus eher konservativen Bundesstaaten überzeugen muss, in denen zum Beispiel Kohle noch eine wichtige Rolle spielt. Insofern ist abzuwarten, inwiefern die tatsächliche Sachpolitik der Biden-Administration den hochgesteckten Zielen des Wahlprogramms gerecht wird. Allerdings bekräftigte Biden Ende Dezember noch einmal, die Klimapolitik als wichtigste Säule des Regierungshandelns etablieren zu wollen.

Welche Auswirkungen werden diese Transformationsschritte in wichtigen Sektoren der US-Wirtschaft haben? Großen Veränderungsbedarf gibt es bei der US-Stromerzeugung, wenn diese bereits bis zum Jahr 2035 CO2-neutral sein soll. Im Jahr 2018 lag der Anteil der Treibhausgas-Emissionen für die Produktion von Elektrizität bei 27 Prozent (siehe Abbildung 1).

Abbildung 1: Anteil von Treibhausgasemissionen in den USA nach Sektoren im Jahr 2018

Abbildung 1: Anteil von Treibhausgasemissionen in den USA nach Sektoren im Jahr 2018
Quelle: EPA (United States Environmental Protection Agency)

Der Biden-Plan „Building Back Better“ sieht vor, die Investitionen in Clean Energy, Clean Tech und in Forschungsprogramme deutlich zu erhöhen. Kleine und große Solar- und Windanlagen (On- und Offshore) sollen stärker gefördert werden, ebenso sollen die Produktionskapazitäten von Offshore-Windanlagen bis 2030 auf staatlichen Flächen verdoppelt werden. Hohe Investitionen sollen in den kommenden vier Jahren in neue Technologien wie Grünen Wasserstoff fließen.

Biden will zudem die umstrittene, aber unter CO2-Aspekten vorteilhafte Atomenergie weiter erforschen lassen. Stärker reguliert werden sollen dagegen die konventionellen Energieträger: Die Grenzen für den erlaubten Methanausstoß von neuen Öl- und Gasfeldern könnten stark abgesenkt werden. Die Öl- und Gasförderung auf staatlichem Land sowie in Nationalparks (inklusive der Arktis) könnte durch die strengeren Auflagen faktisch unrentabel werden, zudem sollen keine neue Genehmigungen für solche Projekte erteilt werden.

Einen wesentlichen Anteil am CO2-Ausstoß hat auch der US-Transportsektor. Ein Schlüssel zur Reduktion dieser Emissionen stellt im Biden-Plan die Elektromobilität dar. Um diese zu fördern sollen 500.000 Ladestationen für E-Autos staatlich finanziert werden, zudem ist die Wiedereinführung steuerlicher Anreize für vollelektrische Mittelklasse-Fahrzeuge geplant. Auch der Staat selbst soll Klimafreundlichkeit bei der Anschaffungen neuer Fahrzeuge deutlich stärker berücksichtigen. Für alle Fahrzeuge sollen zudem die von Donald Trump ausgesetzten Emissionsvorschriften wieder eingesetzt und verschärft werden. Ab dem Jahr 2030 sollen alle in den USA neu gebauten Busse emissionsfrei sein. Den öffentlichen Schienenverkehr will Biden stark ausbauen, sowohl im Fern- als auch im Nahverkehr in Städten ab 100.000 Einwohnern. In der Luft- und der Schifffahrt sollen Bio-Treibstoffe eine größere Rolle spielen, die auch aus Rohstoffen der US-Landwirtschaft hergestellt werden könnten. Bestehende Industrien (wie z.B. die Autohersteller) sollen bei der grünen Transformation unterstützt werden.

Die Emissionen des US-Immobilienbestandes sollen bis zum Jahr 2035 um 50 Prozent sinken. Schlüssel dazu soll neben energetischen Sanierungen von bestehenden Gebäuden eine strengere Regulierung sein: Beispielsweise streben die Demokraten an, dass ab 2030 neu gebaute Geschäftsgebäude CO2-neutral sein sollen. Weitere Bestandteile sind die strengere Regulierung von Klima- und Heizungsanlagen sowie Beleuchtungen.

Bei der Industrie-Produktion sieht der Biden-Plan große CO2-Einsparpotenziale durch die Kohlenstoffabscheidung und dessen Weiterverarbeitung und Speicherung (Carbon Capture Utilization and Storage, CCUS). Forschung und Entwicklungen in diesem Bereich sollen gestärkt und bisherige Investitionen in CCUS verdoppelt sowie steuerliche Abschreibungsmöglichkeiten geschaffen werden. Dieses Thema ist auch bei vielen republikanischen Senatoren weit oben auf der Agenda.

Unter Präsident Biden sollen zudem bestehende Umweltgesetze und -standards wieder stärker kontrolliert und durchgesetzt werden. Dazu soll die US-Behörde EPA (US Environmental Protection Agency) wieder mit allen Kompetenzen ausgestattet werden, um Umweltverstöße – anders als in der Vergangenheit – konsequent zu sanktionieren. Auch die „Social Costs of Carbon“ könnten unter Biden neu berechnet werden. In den USA ist für die Anwendung vieler Gesetze eine Kosten-Nutzen-Analyse hinsichtlich der Treibhausgasemissionen vorgeschrieben. Im März 2017 hatte Donald Trump diese Berechnungen ändern lassen und so die eigentlich beabsichtigte Lenkungswirkung verringert. Werden die Kosten des Klimawandels strenger berücksichtigt, sinken die Erfolgschancen, gegen schärfere Emissionsstandards zu klagen. Biden plant auch neue Gesetze für eine stärkere persönliche Haftung von Managern bei Umweltvergehen.

Passend zu diesen ambitionierten Zielen hat Biden Ende Dezember ein Team von erfahrenen Praktikern vorgestellt, das die innenpolitischen Maßnahmen zum Umwelt- und Klimaschutz koordinieren soll. Die wohl wichtigste Rolle dabei wird Brian Deese als Leiter des National Economic Council im Weißen Haus einnehmen. Der ehemalige Global Head of Sustainable Investing bei Blackrock soll dabei sicherstellen, dass der Aspekt des Klimawandels in allen Bereichen der Gesamtstrategie fest verankert ist. Für den Posten der nationalen Klimaberaterin hat sich Biden für Gina McCarthy entschieden, die von 2013 bis 2017 die EPA geleitet und einen großen Einfluss auf die Regulierungen der Umweltschutzpolitik Barack Obamas hatte. Die Klimaschutzmaßnahmen zwischen den Bundesstaaten und den Behörden soll künftig Brenda Mallory als Vorsitzende des Rates für Umweltqualität (Council on Environmental Quality) koordinieren. Zuvor arbeitete sie beim Southern Environmental Law Center, einer unabhängigen Umweltrechtsorganisation. Die gestärkte EPA soll zudem künftig von Michael Regan geleitet werden, der bisher Umweltminister in North Carolina war und bereits zwischen 1998 und 2008 bei der Behörde arbeitete. Auch weitere Personalien sprechen dafür, dass es Biden mit seiner Klimapolitik ernst ist: Die designierte Energieministerin Jennifer Granholm setzte sich in ihrer Amtszeit als Gouverneurin von Michigan stark für die Förderung von erneuerbaren Energietechnologien ein. Von der künftigen Innenministerin Debra Haaland wird erwartet, dass sie Land in Staatsbesitz wie Nationalparks oder Wildtierreservate künftig stärker schützen wird.

Die USA streben eine globale Führungsrolle in der Klimapolitik an

Die Klimaagenda von Biden erstreckt sich aber nicht nur auf die Innenpolitik. Im Wahlprogramm heißt es dazu: Biden werde jedes Instrument der US-Außenpolitik nutzen, um dem Rest der Welt dazu zu bringen, die Klimaschutzziele parallel mit den USA anzuheben. Anders als Trump setzt Biden auf mehr Kooperation mit Bündnisstaaten und eine weniger harsche Rhetorik – die Außenpolitik unter Biden dürfte sich damit auch in dieser Hinsicht stark von jener der Trump-Administration unterscheiden. Biden hat im Wahlkampf angekündigt, dass die USA nach seiner Wahl möglichst schnell – am ersten Tag seiner Präsidentschaft – wieder dem Pariser Klimaschutzabkommen beitreten werden. Zur Ratifizierung des Abkommens müssten sich die USA ein Klimaschutzziel geben. Biden könnte – wohl im ersten Schritt – auf das Ziel von 2016 zurückgreifen, das sich die USA seinerzeit gegeben hatten: Dies wäre eine Reduktion der Treibhausgasemissionen von 2005 bis 2025 um 26-28 Prozent. Allerdings sehen die Verträge vor, dass alle Länder beim nächsten Gipfel in Glasgow Ende 2021 noch einmal ambitioniertere Ziele vorlegen müssen.

Außerdem wollen die USA innerhalb der ersten 100 Tage nach Amtsantritt Bidens einen Klimagipfel der größten Wirtschaftsmächte ausrichten – es deutet sich bereits jetzt an, dass die Vereinigten Staaten eine globale Führungsrolle beim Kampf gegen den Klimawandel übernehmen wollen.

Dazu passt die Personalentscheidung, die der künftige US-Präsident bereits verkündet hat: Mit John Kerry kehrt ein außenpolitisches Schwergewicht als „Sonderbeauftragter für Klimafragen“ zurück auf die politische Bühne. Dieser neu geschaffene Posten soll helfen, die US-Außenpolitik in Klimafragen zu koordinieren. Kerry, unter Barack Obama von 2013 bis 2017 Außenminister und damaliger Verhandlungsführer des Pariser Klimaschutzabkommens, wird in dieser Rolle mit dem Status eines Ministers auch Mitglied des nationalen Sicherheitsrats werden. Biden unterstreicht damit, dass seine Administration den Klimawandel als nationales Sicherheitsproblem einstuft. Kerry äußerte sich Ende November zu seinen Zielen: Er kehre in die Regierung zurück, „um die USA wieder auf Kurs zu bringen und die größte Herausforderung dieser und der folgenden Generationen anzugehen“.5 Die Regierung werde die Klimakrise als „die dringende Bedrohung der nationalen Sicherheit behandeln, die sie ist“, so Kerry.

Die Neuausrichtung der US-Außenpolitik könnte auch eine Veränderung der Beziehungen zu China mit sich bringen. Zwar sind unter dem neuen Präsidenten die bestehenden Handels- und geopolitischen Konflikte nicht ausgeräumt und allenfalls der Ton könnte konzilianter werden. China bleibt Rivale der USA, doch der Kampf gegen den Klimawandel könnte sich als mögliches Feld der Zusammenarbeit der beiden Nationen anbieten. Denn auch China hat angekündigt, bis spätestens zum Jahr 2060 die CO2-Emissionen des Landes netto auf null zu bringen. Eine Zusammenarbeit wäre sowohl für China als auch die USA von Vorteil, da der Kampf gegen den Klimawandel ein öffentliches Gut darstellt: nur durch internationale Zusammenarbeit kann diese Transformation erfolgreich gestaltet werden. Auch könnte die USA darauf hinwirken, dass chinesische Investitionen statt in Kohle- und Infrastrukturprojekte für die „Neue Seidenstraße“ in nachhaltigere Technologien fließen.

Für andere Länder könnte der Druck gleichwohl zunehmen: Biden könnte die US-amerikanische Handelspolitik dazu nutzen, exportorientierte Länder mit wenig Engagement beim Umweltschutz wie Brasilien oder Australien zu bewegen, Klimaschutzziele zu erreichen.

USA: Partner für die EU – und Konkurrent

Was bedeutet die Klimapolitik von Joe Biden für die Europäische Union? Zunächst könnten die USA vom Bremser zum Antreiber der globalen Klimapolitik werden. Die Chancen steigen damit, weltweite, substanzielle Ziele zu vereinbaren und diese auch tatsächlich zu erreichen. Auf der internationalen Bühne erhält die EU durch die USA mehr Unterstützung in Klimafragen. Auf der anderen Seite könnte das Beispiel einer sich mit Bezug auf die Klimapolitik wandelnden USA die EU drängen, selbst noch stärker zu investieren und strengere Umweltschutzregulierung voranzubringen. Zwar hat die EU bereits im Dezember 2019 mit dem „Green Deal“ einen Plan vorgestellt. Nun aber gewinnt die USA die Initiative zurück: Der Biden-Plan kann als Versuch gedeutet werden, die Transformation vor allem über Investitionen voranzubringen – für die Innovationsfähigkeit könnte sich das amerikanische Modell als überlegen herausstellen.

Aus Sicht der EU und Deutschlands besteht deshalb die Gefahr, dass die USA durch die milliardenschweren Investitionen in Forschung und Entwicklung die Führerschaft in Zukunftstechnologien wie Wasserstoff oder E-Mobilität übernehmen bzw. ausbauen könnten. Aus einer globalen Perspektive wäre mehr Wettbewerb und Innovation in diesen Bereichen zwar sinnvoll und zu begrüßen – aus einer industriepolitischen Perspektive jedoch erscheint dies für die EU zumindest ambivalent.

Zwar dürfte Präsident Biden der EU weitaus zugewandter gegenüberstehen als sein Amtsvorgänger. Auch klimapolitisch finden sich viele Übereinstimmungen. Allerdings gibt es auch durchaus kontroverse Positionen von Biden in der Klimapolitik, die in der EU wenig Zustimmung erhalten dürften. Dazu zählt beispielsweise die Position von Biden zu Fracking, das er nicht gänzlich verbieten will. Auch steht Biden der Kernenergie positiver gegenüber, als manche EU-Mitgliedsländer wie beispielsweise Deutschland. So heißt es im Wahlprogramm, dass Biden die Forschung und Entwicklung von nuklearen Reaktoren weiter vorantreiben will.

Mögliche Kapitalmarktimplikationen

Die neue US-Klimapolitik betrifft auch die Finanzbranche und dürfte vor allem den Markt für nachhaltige Anlagen positiv beeinflussen: Präsident Trump erschwerte es bisher Pensionsfonds, Nachhaltigkeits-Kriterien (ESG) im Investmentprozess zu berücksichtigen. Aus diesem Grund sind viele US-Fonds noch deutlich in Öl- und Gaswerten, Energieversorgern und Rüstungsunternehmen investiert. Trump sorgte zudem dafür, dass staatliche Pensionsfonds ab 2021 nicht mehr in ESG-Fonds investieren dürfen und ließ die Veröffentlichungspflichten von Nachhaltigkeits-Kennzahlen von börsennotierten Unternehmen abschwächen.

Entsprechend hinken die US-Anleger bisher im ESG-Bereich hinterher: Ende 2020 waren nach Zahlen von Morningstar weltweit etwa 1400 Milliarden US-Dollar in nachhaltig klassifizierten Fonds investiert (siehe Abbildung 2). Davon entfielen 85 Prozent auf europäische Anleger und nur 15 Prozent auf die Vereinigten Staaten. Das ist umso erstaunlicher, weil der US-amerikanische Kapitalmarkt insgesamt sehr viel größer ist. Asien und der Rest der Welt spielen hier derzeit kaum eine Rolle. Bei neu angelegten Geldern sieht das Verhältnis zwischen Europa und den USA ähnlich aus – der Abstand wird derzeit also eher größer.

Abbildung 2: ESG-Assets nach Regionen, in Milliarden US-Dollar: Europa dominiert

ESG-Assets nach Regionen, in Milliarden US-Dollar: Europa dominiert
Quelle: Morgan Stanley, auf Basis von Morningstar

Durch die politische Entwicklung wird sich der Markt für nachhaltige Finanzanlagen jedoch stark verändern. Wahrscheinlich ist, dass die US-Regierung unter Biden die Einschränkungen von Trump rückgängig machen und die Veröffentlichungspflichten für börsennotierte Unternehmen zu Nachhaltigkeitskriterien wie CO2-Emissionen verschärfen wird. Dies könnte den Druck auf solche Firmen erhöhen, die bisher keine nachhaltige Strategie aufweisen. Nachhaltig orientierte US-Unternehmen oder solche mit einer überzeugenden Transformationsagenda könnten doppelt profitieren: von den staatlichen Investitionsprogrammen der Regierung Biden und durch mehr privates Kapital von ESG-Investoren.

Unterscheiden lässt sich nicht nur nach nachhaltig- und weniger nachhaltig-orientierten Unternehmen. Die klimapolitische Wende der US-Politik hat auch für ganze Branchen unterschiedliche Auswirkungen. Einzelne werden voraussichtlich profitieren, andere Unternehmen werden vor Herausforderungen stehen und durch einen schwierigen Transformationsprozess gehen müssen (siehe Beispiele in Abbildung 3).

Abbildung 3: Neue US-Klimapolitik wirkt auf Kapitalmarkt

Neue US-Klimapolitik wirkt auf Kapitalmarkt – Potenzial ausgewählter Branchen und Unternehmen
Quelle: Union Investment

Strengere Regulierung erhöht den Druck auf Unternehmen mit großem CO2-Fußabdruck, wie Unternehmen der Öl- und Gasbranche. Besonders betroffen dürften davon jene Unternehmen sein, die in den vergangenen Jahren in den von Donald Trump freigegebenen Nationalparks, Reservaten und Naturschutzzonen investiert und nach Öl gebohrt oder Schiefergas gefördert haben. Denn es ist sehr wahrscheinlich, dass die Biden-Administration kurzfristig den vollen Schutzstatus dieser Gebiete wieder herstellen wird.

Auch auf privatem Land könnte Biden die Förderung durch schärfere Umweltauflagen teurer machen. Innerhalb der Branche sollten sich größere Unternehmen weniger schwer tun, die bereits über Strategien und geschäftliche Aktivitäten in der nachhaltigen Energieerzeugung verfügen und sich in der Vergangenheit dagegen entschieden haben, in den von Trump geöffneten Gebieten zu investieren. Dass ein klimapolitischer Wechsel bevorsteht, hat die Branche schon erkannt: Bei einer Anfang Januar beendeten Auktion für potenzielle Ölfördergebiete in Alaskas Nationalpark gab es nur sehr wenige Bewerbungen, keines der großen Ölförderungsunternehmen beteiligte sich. Hersteller von Pipelines dürften ebenfalls zu den Unternehmen mit Herausforderungen zählen, vor allem weil neue Projekte höheren Umweltauflagen unterliegen und so künftiges Wachstum erschwert werden könnte.

Ebenfalls tendenziell negativ dürfte sich der Regierungswechsel für Teile der Chemiebranche auswirken. Strengere Umweltauflagen für Fracking könnten den Rohstoffkostenvorteil reduzieren und so die Exportchancen für beispielsweise Ethylen schmälern. Dieses Basisprodukt für die petrochemische Industrie wird aus Ethan hergestellt. In den vergangenen Jahren hat die Branche deshalb hohe Kapazitäten aufgebaut, die nun zur Belastung werden könnten.

Die Verschärfung von Umweltstandards dürfte die Geschäftsaussichten dieser Unternehmen ebenfalls tendenziell verschlechtern. Auch die stärkere Regulierung bestimmter chemischer Produkte („per- and polyfluoroalkyl substances“, PFAS6) – die zum Beispiel in Einwegverpackungen oder in der Textilindustrie genutzt werden, sich aber als potentiell gefährlich für Natur und Mensch erwiesen haben – dürfte die Branche belasten, ebenso wie höhere Kosten durch strengere Umweltauflagen.

Zu den potenziellen Profiteuren könnten dagegen Unternehmen der Wind- und der Solarbranche zählen. Der groß angelegte Umbau des Energiesektors und der Stromerzeugung, Steuervergünstigungen sowie hohe Investitionen, die der Biden-Plan vorsieht, werden diesen Unternehmen zu Gute kommen. Dazu zählen auf die Produktion von Rotorblättern spezialisierte Unternehmen genauso wie Hersteller von Windturbinen sowie Unternehmen, die Energiespeichersysteme bauen.

Die Pläne für die Transformation des Verkehrssektors sind auf der einen Seite günstig für Unternehmen, die im Bereich der E-Mobilität aktiv sind. Ein Projekt, das Biden zeitnah in Angriff nehmen dürfte, ist der Ausbau der nationalen Ladeinfrastruktur. Mögliche härtere Abgasnormen und Vorschriften für den Treibstoffverbrauch von PKWs könnten den Herstellern von Elektrofahrzeugen darüber hinaus einen Vorteil gegenüber traditionellen Autoherstellern verschaffen. Insbesondere Hersteller von den in den USA sehr beliebten Pick-ups und SUVs dürften unter den Verschärfungen leiden.

Auf der anderen Seite will Biden in das Schienennetz der USA investieren. Davon könnten mittelfristig Unternehmen der Eisenbahnbranche profitieren, die Waggons oder Lokomotiven herstellen oder auf die Schieneninfrastruktur spezialisiert sind. Auf Güterverkehrsunternehmen könnten dagegen wegen ihres hohen Öl- und Kohle-Kundenanteils und Dieselverbrauchs für die Loks höhere Kosten zukommen. Allerdings ist wahrscheinlich, dass wegen der besseren CO2-Bilanz mittelfristig der Anteil von Fracht steigen wird, die auf der Schiene transportiert wird. Zudem experimentieren diese Unternehmen mit alternativen Antrieben für ihre Güterzüge, beispielsweise mit Wasserstoff.

Auch Anlagenbauer im Bereich der Umweltschutztechnologie, Hersteller von Dämmstoffen, LED-Beleuchtung sowie der Gebäudesteuerung könnten zu den Gewinnern des Regierungswechsels zählen. Die Planungen für klimagerechte Modernisierungen von vier Millionen Gebäuden und Sanierungen von zwei Millionen Wohneinheiten dürfte dagegen der Baubranche zu Gute kommen.

Fazit

Joe Biden hat als nächster Präsident die Chance, mit politischer Rückendeckung des Kongresses die Klimapolitik der USA grundlegend zu verändern. Die klimapolitischen Ziele und innenpolitischen Maßnahmen, die Biden im Wahlkampf vorgestellt hat, sind ambitioniert und versprechen, dass Biden mit großem Aufwand die grüne Transformation der US-Wirtschaft und Gesellschaft vorantreiben wird.

Sollten diese Pläne in die Tat umgesetzt werden, könnte sich der Markt für nachhaltige Finanzanlagen in den USA und letztlich international sehr stark verändern. Die USA werden sehr viel attraktiver für ESG-Investoren. Auch für Investoren aus Europa könnte es sich deshalb lohnen, bei der ESG-Anlage internationaler zu denken, gerade in Richtung der USA. Denn die geplanten staatlichen Ausgaben der Biden-Regierung könnten große wirtschaftliche Dynamik nach sich ziehen, und gerade nachhaltig orientierte Unternehmen sollten davon profitieren. Dies dürfte für viele Unternehmen einen zusätzlichen Anreiz darstellen, die eigene Nachhaltigkeitsstrategie zu schärfen.

Jenseits von Nachhaltigkeitsanlagen, mit Blick auf US-Unternehmen in klimapolitischen Problemsektoren, müssen Investoren gleichzeitig ihr Riskmanagement erhöhen. Ähnlich wie in Europa werden viele Firmen durch einen anspruchsvollen Transformationsprozess gehen müssen, der temporär Umsätze und Gewinne belasten wird. Zudem werden manche Unternehmen so genannte „gestrandete Vermögenswerte“ in ihren Bilanzen abschreiben müssen.

Außenpolitisch deutet sich in Klimafragen eine Rückkehr der USA in eine globale Führungsrolle an. Der Wiedereintritt der Vereinigten Staaten zum Pariser Klimaabkommen, den Biden für den ersten Tag seiner Präsidentschaft angekündigt hat, wird dafür nur der Auftakt sein.

Für den weltweiten Kampf gegen den Klimawandel sind dies positive Entwicklungen. Nicht nur sind die USA weltweit nach China der zweitgrößte Emittent von CO2: Rund 15 Prozent des weltweiten CO2-Ausstoßes werden von den USA verursacht.7 Sollte Biden die grüne Transformation der USA erfolgreich

gestalten, könnte allein dies einen Effekt auf das Weltklima haben. Nach Berechnungen des Climate Action Tracker, einer Kooperation von Umweltorganisationen, dürfte allein die Abwahl von Donald Trump und die Kehrtwende der amerikanischen Klimapolitik die globale Temperatur bis zum Jahr 2100 um 0,1 Grad Celsius sinken lassen.8 Noch wichtiger als der amerikanische Beitrag dürfte aber die internationale Zusammenarbeit in Klimafragen sein. Streben die USA eine globale Führungsrolle in der Klimapolitik an, wird sie ihr außenpolitisches Gewicht dafür einsetzen, dass international mehr Kooperation in Klimafragen erfolgt und dass bisher zögerliche Nationen ihrerseits ambitioniertere Klimapläne verfolgen.

Mit der Wahl Joe Bidens könnten also die Chancen gestiegen sein, dass die internationale Gemeinschaft die Ziele der Pariser Klimakonferenz einhalten kann: Nämlich die globale Erwärmung auf möglichst unter 1,5 Grad Celsius zu beschränken.

  1. 1 https://cleanenergy.org/blog/wtcs-perdue/
  2. 2 https://joebiden.com/climate-plan/
  3. 3 https://climate.law.columbia.edu/climate-deregulation-tracker, Stand: 12.01.2021
  4. 4 Siehe auch: https://www.wearestillin.com/signatories
  5. 5 John Kerry am 23.11.2020 auf Twitter: “I’m returning to government to get America back on track to address the biggest challenge of this generation and those that will follow. The climate crisis demands nothing less than all hands on deck.”
  6. 6 Siehe dazu: AnGEDACHT „Asbest, Glyphosat…PFAS?“, erschienen im September 2020, ab-rufbar unter: https://institutional.union-investment.de/startseite-de/Kompetenzen/Nachhaltige-Investments/Themen/PFAS.html
  7. 7 Stand 2018, https://de.statista.com/statistik/daten/studie/179260/umfrage/die-zehn-groessten-c02-emittenten-weltweit/
  8. 8 https://climateactiontracker.org/documents/829/CAT_2020-12-01_Briefing_GlobalUpdate_Paris5Years_Dec2020.pdf

Passend zum Thema: Unser ESG Investor Spotlight zum „Biden Boost“

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Joe Biden wird als nächster Präsident der USA die Rückendeckung des Kongresses haben. Damit rückt der Klimaschutz auf der politischen Agenda ganz nach vorn. Doch was genau bedeutet dieser Biden-Sweep für eine nachhaltige Transformation der Wirtschaft? Dr. Henrik Pontzen, Leiter der Abteilung ESG im Portfoliomanagement, gibt Antworten in unserer ersten Ausgabe des ESG Investor Spotlights.