Luftfahrtbranche: Corona-Folgen gefährden Wirksamkeit von Klimainitiativen
Was bedeutet die Corona-Krise für die vor dem Hintergrund des Klimawandels notwendige Transformation der Luftfahrtbranche?
Noch bis vor wenigen Wochen blickte die Luftfahrtbranche zuversichtlich in die Zukunft. Analysten erwarteten ein jährliches Umsatzwachstum von bis zu 3,7 Prozent. Selbst als in China die Beeinträchtigungen durch das Corona-Virus immer größer wurden und die dortige Regierung die gesamte Region Wuhan abriegelte, sahen viele Beobachter kaum langfristige Auswirkungen auf die Branche. Auch die Aktienkurse vieler börsengelisteter Fluggesellschaften reagierten zunächst kaum auf das bis dahin noch auf Asien beschränkte Virus. Doch mit der Ausbreitung zur Pandemie hat sich die Situation grundsätzlich verändert. Der „Quasi-Lock Down“ der Luftfahrtbranche hat bereits jetzt zu massiven Umsatz- und Gewinnrückgängen bei allen Unternehmen im ersten Quartal 2020 geführt. Mit jedem neuen Tag, an dem die Flugzeuge weltweit am Boden bleiben müssen, verschlechtern sich naturgemäß die Umsatzaussichten für das Gesamtjahr 2020 weiter.
Abbildung 1: Starker Umsatzeinbruch durch Corona zu erwarten

Der erwartete Erlösrückgang von bis zu 40 Prozent - siehe Abbildung 1 - fällt dabei deutlich stärker aus, als in anderen Krisen zuvor. Es droht die schlimmste Rezession im Verkehrssektor seit 50 Jahren. Auslöser damals: Die erste Ölpreis-Krise. In der Vergangenheit wurden durch regional begrenzte Epidemien ausgelöste Beeinträchtigungen des Luftverkehrs zwar relativ zügig aufgeholt (siehe Abbildung 2). Auch konjunkturelle Schwächephasen konnten den langjährigen Wachstumstrend nur temporär bremsen.
Doch es ist zu vermuten, dass es dieses Mal anders kommt, die Krise länger dauert und auch strukturelle Komponenten hat. Denn: Der Segen der Globalisierung, der bislang für das Wachstum der Branche mitverantwortlich war, hat sich in der aktuellen Situation zu einem Fluch gewandelt. Die weltweite Vernetzung von Unternehmen, der globale Handel und die internationale Reisetätigkeit haben dazu beigetragen, das Virus weltweit zu verbreiten. Und weil das Virus eben keine Grenzen kennt, sind auch sämtliche Regionen der Welt von den strikten Gegenmaßnahmen zur Eindämmung der Pandemie betroffen. Folge: Die Luftfahrt ist global paralysiert. Für einige Anbieter steht sogar die wirtschaftliche Existenz auf dem Spiel.
Abbildung 2: Auswirkungen von Epidemien in der Vergangenheit

Schon jetzt ist klar: Es wird zu vielfältigen Effekten und strukturellen Änderungen in der Luftfahrtbranche kommen:
- Das Wachstum der Branche wird mittelfristig unter dem historischen Durchschnitt liegen.
- Gerade kleinere und bilanziell schwächere Fluglinien werden um ihre Existenz kämpfen müssen. Es ist sehr wahrscheinlich, dass die Branche aufgrund von Konsolidierungsmaßnahmen insgesamt schrumpfen wird.
- Die Flottengrößen der Airlines werden nach der Krise nicht wieder ihr Ausgangsniveau erreichen. Insbesondere ältere und klimaschädlichere Maschinen werden „aussortiert“ werden.
- Staatliche Eingriffe zur Stützung ausgewählter Fluggesellschaften scheinen unausweichlich.
- Verhaltensanpassungen beim Urlaubsverhalten, aber auch bei Geschäftsreisen, sind wahrscheinlich – möglicherweise auch langfristig.
Der Corona-Virus verändert das Nachhaltigkeitsprofil der Luftfahrtbranche

Neben diesen fundamentalen, branchenspezifischen Anpassungsprozessen, hat die Corona-Krise aber auch wichtige ESG-relevante Auswirkungen für die Luftfahrt. Was hier vor Corona galt, stellt sich nun zum Teil deutlich verändert dar.
Das starke Wachstum der Luftfahrtbranche in den vergangenen Jahren hatte unter Klimagesichtspunkten deutlich negative Effekte. Denn trotz aller Effizienzsteigerungen nahmen die CO2-Emissionen der Branche kontinuierlich zu und waren nicht mit den Beschlüssen des Pariser Klimagipfels kompatibel. Verschiedene regulatorische Vereinbarungen, die Emissionen begrenzen sollen, stellen sich nun allerdings in einem anderen Licht dar:
- Der europäische Handel mit CO2-Zertifikaten (EU-ETS) hat das Ziel, durch eine über die Zeit geringer werdende Anzahl an Zertifikaten und damit langfristig steigende CO2-Preise Kostendruck bei den Fluggesellschaften bei innereuropäischen Flügen aufzubauen und dadurch eine Reduzierung der CO2-Emissionen zu „erzwingen“. Gerade in den vergangenen beiden Jahren war das EU-ETS auch erfolgreich und entfaltete seine Lenkungswirkung. Die Airlines suchten nach vielfältigen Alternativen, um ihre CO2-Emissionen zu verringern. In der aktuellen Situation ist es vor allem aufgrund der vielen Flugausfälle zu einer deutlich verringerten Menge an CO2-Emissionen gekommen. Nach neuesten Studien des Australia Institutes aus dem April 2020 könnten die weltweiten CO2-Emissionen 2020 um rund 38 Prozent sinken. Unter Klimagesichtspunkten ein kurzfristig positiver Effekt, der sich aber langfristig nicht auf diesem Niveau fortsetzen wird. Der Preis für ein CO2-Zertifikat ging im Zuge dieser Entwicklung merklich zurück: Betrug zu Beginn des Jahres der Preis noch rund 26 Euro pro Zertifikat, so mussten Airlines Ende März nur noch rund 17,40 Euro bezahlen. Dies stellt zwar für die betroffenen Konzerne in der momentanen Situation eine willkommene finanzielle Entlastung dar. Die oben skizzierte mittelfristige Entwicklung der Branche post Corona lässt aber vermuten, dass die CO2-Preise unter sonst gleichen Bedingungen „zu niedrig“ liegen und sich ihre gewünschte Lenkungswirkung vermindern könnte.
- Mit Beginn des Jahres 2021 ist der Start des internationalen CORSIA-Abkommens geplant. Das Ziel von CORSIA ist es, auch außerhalb des EU-ETS-Anwendungsgebietes das Wachstum der CO2-Emissionen in der Luftfahrtbranche zu deckeln. Mögliche CO2-Überschreitungen sollen durch Kompensationsmodelle ausgeglichen werden. In der Vor-Corona-Zeit lautete der Vorwurf gegenüber CORSIA, nicht streng genug gegen das CO2-Emissionswachstum vorzugehen. Aufgrund der speziellen Ausgestaltung des Programmes könnte nun aber das zu Beginn festgelegte CO2-Referenzniveau 2021 eine deutliche Verschärfung für die internationalen Fluggesellschaften bedeuten. Denn: Zur Berechnung der CO2-Emissionsgrenzwerte werden die Jahre 2019 und 2020 herangezogen. Durch die niedrigen CO2-Kennzahlen aus 2020 würde eine relativ strenge Vergleichsbasis für die Zukunft festgelegt. Dies hat zur Folge, dass CORSIA – gerade für international orientierte Fluggesellschaften – eine größere Belastung darstellen könnte als zuvor gedacht. Für das Klima ist dies eine gute Nachricht.
- Die schwierige Situation der Luftfahrtbranche könnte mittel- bis langfristig auch zu einem Investitionsrückgang und einem nachlassenden Innovationsdrang in angrenzenden Unternehmenssektoren führen: Flugzeugbauer und Turbinenhersteller hatten in der Vergangenheit einen wichtigen Anteil daran, den Flugverkehr effizienter und klimafreundlicher zu gestalten. Doch die prekäre finanzielle Lage vieler beteiligter Unternehmen, die Unsicherheit über das zukünftige Passagieraufkommen und vor allem auch der drastisch gesunkene Ölpreis lassen befürchten, dass weiterführende Anstrengungen zur Senkung des Kerosinverbrauchs – und damit des CO2-Ausstoßes – vorerst eine geringere Priorität besitzen.
- Möglich scheint zudem, dass durch Corona-bedingte Flugausfälle und den anschließend niedrigeren Wachstumspfad der Branche die Nachfrage nach CO2-effizienteren, alternativen Kraftstoffen (sogenannte SAF oder „sustainable aviation fuels“) zurückgeht. Dadurch trüben sich auch die Zukunftsaussichten für diese Produktgruppe ein, denn gerade für SAF-Hersteller ist eine kontinuierliche Produktionsausweitung entscheidend. Nur durch sich verbessernde Skaleneffekte können mittel- bis langfristig die Kosten in diesem Bereich abgesenkt werden. Durch den kollabierten Ölpreis verlieren SAF in der aktuellen – finanziell angespannten Situation zusätzlich an Attraktivität gegenüber Kerosin. Die Corona-Pandemie und ihre Nachwehen gefährden deshalb auch diesen – unter CO2-Reduktiosgesichtspunkten besonders interessanten – Industriebereich.
- Schließlich ist zu befürchten, dass vielversprechende technische Innovationen im Flugzeugbau und bei alternativen Antriebssystemen verzögert oder aufgegeben werden müssen. Denn gerade kleineren Unternehmen und „Start-Ups“ drohen in der aktuellen Krise, die finanziellen Mittel auszugehen.
Wie wirken die vorstehend beschriebenen Effekte auf verschiedene Fluggesellschaften aus? Da die regulatorischen Vorschriften wie das EU-ETS, aber auch das deutsche Klimapaket, vor allem Flüge innerhalb Europas und auf Kurzstrecken belasten, sind „Low-Cost-Carrier“ (LCC) wie Ryanair oder EasyJet – relativ betrachtet – stärker von ihnen betroffen. Fluggesellschaften, die hingegen auf Langstreckenflüge und Geschäftskunden spezialisiert sind, kommen im Vergleich zu den LCC-Konkurrenten etwas besser weg. Mögliche Verhaltensänderungen im Nachgang zur Corona-Krise könnten hier jedoch das Blatt zugunsten der LCC wenden. Denn Touristen könnten kurz- bis mittelfristig auf Fernreisen verzichten und weniger weit entfernte Ziele bevorzugen, die mehrheitlich von LCC angeflogen werden. Aber auch das sehr wichtige globale Geschäftskundensegment könnte schrumpfen, wenn sich der durch die Krise unterstützte Trend zu vermehrten Videokonferenzen etabliert und sich insgesamt das Niveau der weltwirtschaftlichen Integration reduziert. Somit besteht die Möglichkeit, dass ausgewählte LCC – auch wegen ihrer im Branchenvergleich tendenziell besseren Kosteneffizienz – zu den wenigen Profiteuren der durch Corona ausgelösten Branchenkrise gehören. Unternehmen, die zunächst besonders durch neue Abgaben belastet wurden, könnten nun – im Vergleich zu ihren Konkurrenten – wieder aufholen. Für das Klima wäre dies eine gute Nachricht. Denn: LCC wie Ryanair besitzen im Vergleich zu vielen „Legacy Carriern“ eine jüngere und CO2-effizientere Flugzeugflotte.
Zusammenfassung und Fazit
Das Corona-Virus und seine negativen Auswirkungen auf die weltweite Luftfahrtbranche sind historisch fast schon einmalig. Die Branche wird sich – im Vergleich mit früheren Krisen – nur deutlich langsamer erholen können. Nicht alle Fluggesellschaften werden den aktuellen Sturm „heil“ überstehen – ein weltweiter Konsolidierungsprozess steht bevor. Dies alles macht deutlich: Historische Muster zur Beurteilung der Zukunftsaussichten der Fluggesellschaften sind mit Vorsicht zu genießen. Die Branche wird anbieterseitig ihr strukturelles Gesicht verändern. Verhaltensanpassungen auf der Nachfrageseite erhöhen die Unsicherheiten in der Branche zusätzlich und machen ein schnelles „back to normal“ unwahrscheinlicher.
Die erhofften Erfolge von Nachhaltigkeitsinitiativen und -programmen zum Schutz des Klimas und zur Senkung der CO2-Emissionen im Bereich der Luftfahrtbranche scheinen gefährdet. Die Situation ist extrem ambivalent, denn: Die vom Regulator gewollten, finanziellen Belastungen verschärfen die ohnehin extrem angespannte Situation in der Branche zusätzlich.
Mit Blick auf die Zukunft stellen aber unter Nachhaltigkeitsaspekten vor allem ausbleibende Investitionen und nachlassende Innovationen die Hauptprobleme dar. Denn nur durch sie kann es gelingen, dass die Luftfahrtbranche unabhängig von der Corona-Krise ihre „verordneten“ Klimaziele erreicht.
Stand aller Informationen, Erläuterungen und Darstellungen:
17. April 2020, soweit nicht anders angegeben.